Ökumenische Hauptanliegen

 Thesen von Hans-Martin Weiss und Werner Thiede

1) Angesichts eines zunehmenden ökumenischen Krisenbewusstseins1 und sich ausbreitender Resignation in den Gemeinden gegenüber den Ökumenebemühungen der Kirchenleitung ist verstärkte Rückbesinnung auf die eine Taufe aller Christen angesagt2. Die Konsequenzen für das eigene kirchliche Selbstverständnis in seiner wesenhaft ökumenischen Ausrichtung neu zu bedenken3.

2) Hohe Dringlichkeit hat die Weiterarbeit am gemeinsamen Rechtfertigungsverständnis, weil dessen Tiefen anerkanntermaßen in der Gemeinsamen Erklärung von 1999 noch keineswegs restlos ausgelotet sind, aber reich an Konsequenzen wären. Diese Notwendigkeit sollte auch auf Dekanats- und Gemeindeebene erkannt werden.

3) Zustimmung verdient der (scheidende) Kardinal Wetter mit seiner Forderung nach einer „sichtbaren Einheit der Christen“, wobei die äußere Einheit den „Prozess einer inneren Bekehrung“ brauche4. Die Frage ist freilich: Bekehrung durch wen und wozu?

4) Hinderlich für das ökumenische Gespräch sind die unterschiedlichen Ökumene-Konzepte auf römisch-katholischer und protestantischer Seite. Sie lassen sich freilich nur überwinden, wenn bilateral erkannt wird, dass weder das katholische „Mater“-Verständnis von Kirche noch das protestantische „Pluralismus“-Konzept5 von angemessenem Respekt gegenüber dem Einheitswillen des himmlischen Herrn, Richters und Erlösers zeugen.

5) Eine „Ökumene der Profile“ (Wolfgang Huber) birgt in sich die Gefahr neokonfessioneller Abgrenzung, aber auch die Chance zu authentischer Begegnung und realistischen Perspektiven. Wichtig ist es, den Respekt der jeweils anderen Konfession zu erfahren bzw. zu gewähren.

6) Seit dem Papstbesuch ist das ökumenische Klima insgesamt und auch vor Ort noch nicht spürbar besser geworden. Doch sollte die geschichtliche Stunde intensiver als bisher genutzt werden, dass ein deutscher, im Ansatz ökumenisch aufgeschlossener, von der caritas dei bewegter Papst in Rom wirkt. Ansatzpunkt könnten neben dem in Punkt 1 Gesagten die gemeinsam betonten altkirchlichen Bekenntnisse sein6.

7) Auf Kirchenkreisebene sollte die Suche nach ökumenischen Gesprächs- und Handlungsmöglichkeiten sich in ihrem spirituellen Eifer nicht von katholischen Bischöfen „dämpfen“ lassen, sondern energisch das Aufeinander-Angewiesen-Sein nach innen wie außen bewusst machen7 (und zwar nicht nur in ethischen Fragen8).

8) Mit den Anliegen einer gemeinsamen Eucharistie-Teilnahme konfessionsverschiedener Ehepartner verbinden sich gravierende Probleme auf parochialer Ebene: Sie sind mit Blick auf den vom Agape-Prinzip bestimmten Kirche-Leib-Gedanken bei Paulus keineswegs als nachrangig zu gewichten.

 


 

1„Wir sind getrennte Kirchen“: Dieses nüchterne Fazit zog Margot Käßmann in ihrer Predigt auf dem Wittenberger Vorbereitungstreffen zur Dritten Ökumenischen Versammlung (idea 8/2007, 14).
2Dazu z.B. J. Johannesdotter: Bischöfe zu Fragen der Zeit. Im Sakrament der Taufe besteht die Einheit der Kirchen schon jetzt, in: velkd-Informationen Nr. 112, 2004, S. 1f.
3Wahrheit ist geschichtlich und „im Werden“, weshalb alle Konsenstheorien (auch die Ökumeneformel eines „differenzierten Konsens“) stets unzulänglich bleiben; da für Christen aber Christus die Wahrheit schlechthin ist, besteht in der Taufe auf ihn ein „Prae“, das ökumenische Wahrheitssuche auf ein spirituelles Fundament stellt und ebenso verheißungsvoll wie verpflichtend ist. Vgl. M. Petzoldt (Hg.): Wider die Müdigkeit im ökumenischen Gespräch, Leipzig 2007.
4Epd-Bayern vom 25. 1. 2007, 10.
5Dass das Buch von S. Keshavjee „Unterwegs zu einer Sinfonie der Kirchen“ (2001) von einem Inder (geschult in monistischem Denken) stammt, ist bezeichnend.
6Vgl. aber auch K. Lehmann/E. Schlink (Hg.): Evangelium – Sakramente – Amt und die Einheit der Kirche. Die ökumenische Tragweite der Confessio Augustana, Göttingen 1982.
7R. Bernhardt spricht von „konverser Identität“.
8Vgl. H. Schüttes Buch zur Ökumenischen Ethik (1999), aber auch E. Schlinks ermutigende „Ökumeniche Dogmatik“ (1983).

Autor:   Hans-Martin Weiss und Werner Thiede
Ort:   Regensburg
Datum:   21.02.2007